Kirmeskinder

Kinder unter 7 Jahren dürfen nur in Begleitung eines Erwachsen mitfahren.

So steht es auf dem laminierten DIN A4 Blatt an dem Karussell geschrieben, vor dem ich mit drei 6-Jährigen Kirmeskindern stehe. Dabei hatte ich mir vor drölfundzwanzig Jahren geschworen, nie wieder auch nur einen meiner bechuckten Füße in dieses Gefährt zu setzen.

„Biiiiiittttteeeeeee, dürfen wir da mitfahren, Mama? Bitte, bitte, bitte.“

Bin ich ja auch selbst schuld, dass ich nicht von Anfang an „NEIN!“ gesagt habe, also noch bevor mich die komplett im Kirmes-Rausch angeknipsten Mäuse wegen des Musikexpress quer über den gesamten Rummelplatz gezerrt hatten.

Super Beschäftigung an so einen schulfreien Dienstag, hatte ich gedacht. Luftballons und Kettenkarussell und Zuckerwatte, hatte ich gedacht. Eine Fahrt auf der Todesdrehungsmaschine für alle (inklusive mir) hatte ich eigentlich nicht eingeplant.

Wo sind denn die Zeiten geblieben, in denen die lieben Kleinen freudestrahlend auf den Pferden des nostalgischen Kinderkarussells geritten sind? Jetzt lungern sie auf solchen „Baby-Karussells“ (wie sie neuerdings heißen) nur noch so rum – ohne Festhalten und vollkommen angeödet, wie diese gelangweilten „Jungen Männer“, die immer zum Mitreisen gesucht werden und die Chips vor jeder Fahrt einsammeln.

Mitgehangen – Mitgefangen.

Nützt ja nix. Der Musikexpress war also jetzt das neue Schwarz.

Zunächst hatten wir uns (wie ich dachte: zur Abschreckung) eine Runde der wilden Kreiselfahrt angesehen. Wenn die Mädels erst die vor Übelkeit verzerrten Gesichter der aussteigenden Kinder sehen, ist der Mitreise-Wunsch sofort erloschen, dachte ich. Aber nix da. Ausschließlich jubelnde Kinder mit vom Fahrtwind zerzausten Haaren und weit vor Begeisterung aufgerissenen Augen kletterten frei von Schwindel oder Übelkeit aus den schmalen Waggons.

Ach komm, sage ich zu meinem zweifelnden Mama-Ich. Wird schon nicht so schlimm. Bist doch immer voll gerne Karussell gefahren. Keine Achterbahn war dir zu steil und kein Schleudergang im Breakdance zu schnell. Hast doch früher Rhönrad gemacht. Und Radschlag. Und überhaupt.

Also marschieren wir todesmutig die bunten Metallstufen zum Kassenhäuschen hinauf.

„Ich habe hier drei 6-Jährige im Schlepptau. Bedeutet das, dass ich auch mitfahren muss?“ frage ich die leicht verwunderte Kirmes-Frau.

Diese zieht nur verächtlich eine Augenbraue über der dicken Brille hoch und nickt mir verächtlich zu, indem sie ihren Kopf nur einmal kaum merklich in Richtung Nacken bewegt. „10 EUR.“ kommt dabei aus ihrem Mund. Auf dem Schild lese ich, dass das der Preis für vier Fahr-Chips ist und rechne mir 1 und 1 zusammen, dass ich aus der Nummer jetzt wohl nicht mehr rauskomme.

Ein-stei-gen!

Wir setzen uns alle in einen Wagen. So will es der angeödete junge Mann, der offensichtlich bei diesem Karussell der Mitreisende ist und unsere Chips einsammelt. Wegen der Fliehkraft-Erfahrung, an die ich mich noch von früher erinnern kann, setze ich mich nach ganz links außen, um nicht während der Fahrt gleich drei elfengleiche Kinder mit meinem Gewicht zu zerquetschen. Der Bügel schnackt in die Verankerung. Zu spät. Jetzt geht’s los.

Los-fah-ren!

Die ersten Runden sind noch relativ harmlos. Bergauf – bergab – immer im Kreis geht die Fahrt zu fetziger Charts-Musik. Doch dann wird der Motor immer wieder bis zur Belastungsgrenze aufgedreht. Während ich die Kinder immer wieder daran erinnere, sich bitte! wirklich! gut! festzuhalten!, versuche ich im Kopf auszurechnen, ab welchen G-Kräften wohl aus leichten Elfenkörpern tonnenschwere Gewichte werden, die mich während der Fahrt zerquetschen können. So fühlt es sich zumindest an.

Ich werde so stark in die linke äußere Ecke des Wagens gedrückt, dass sich an meinem Oberschenkel schon langsam ein dickes Hämatom von der Kante an diesem bescheuerten Sicherungs-Bügel bildet. Wenn wir diesen Bügel allerdings nicht hätten, wären zwei der drei Mädels schon mehrfach beim „Bergauf“ aus dem Karussell gehopst. So wie meine Tasche, die ich nur in letzter Sekunde noch wieder zu packen kriege, weil ich sie mir vorm Einsteigen ganz Kindergarten-Taschen-mäßig quer über die Brust gehängt hatte.

Die Kinder schreien vor Glück. Haare fliegen. Oberschenkel schmerzen. Elfe Nr. 2 sitzt mittlerweile auf dem Schoß von Elfe Nr. 1, die aber vor Freude jauchzt statt sich zu beschweren. Elfe Nr. 3 hängt fast waagerecht mit beiden Händen an der Festhaltestange im Wagen während ich versuche, alle Kinder und mich selbst immer wieder in die richtige Reihenfolge zu bringen und gut festzuhalten. Endlich verlangsamt sich der Musikexpress wieder. Aber nur, um nach kurzer Zeit wieder mehrmals volle Fahrt aufzunehmen. Eins muss man diesem besch*en Karussell lassen: Man kriegt richtig viele Umdrehungen für sein Geld.

An-hal-teeeeeen!

Ohne Witz, gegen Ende der 7-minütigen Fahrt (!) versuche ich mehrfach, die Kirmes-Frau oder den Mitreisenden jungen Mann durch intensiven Blickkontakt (okay, und laute Rufe) zum Anhalten zu bewegen. Ohne Erfolg. Es kommt mir eher so vor, als würden sie nochmal eine Extra-Runde mit Voll-Speed für rum-memmende Mütter dranhängen.

Als wir endlich aussteigen dürfen, spüre ich meinen Oberschenkel schon gar nicht mehr. Meine Beine sind durch die ständige Anspannung wie aus Pudding. Mein Haarband ist irgendwo in der 281. Kurve auf der Strecke geblieben. Mein rechter Arm ist derartig verkrampft, dass ich noch im Karussell sitzend überlege, doch mal eine dieser Mutter-Kind-Kuren zu beantragen. Weit, weit weg vom nächsten Musikexpress.

Und die Kinder? „Nochmaaaaaal! Das war super! Voll geil! Können wir jetzt in den Auto-Scooter? Oder in die Riesen-Schiff-Schaukel? Wir wollen Pommes!“

Das war also wohl erst der Anfang. Wenn ihr mir also bitte ein Mutter-Kind-Heim mit angeschlossenem Raumfahrt-Trainings-Zentrum empfehlen könntet, damit ich für weitere Kirmes-Besuche gewappnet bin… Vielen Dank.

Eure MAMA LUJA

 

 

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